Von Rock-Legenden, Tätowierern auf dem Friedhof und Theaterpremieren

Für die Kulturredaktion von Página Siete war ich in den letzten zwei Wochen in Proberäumen, Cafés und – einmal mehr – auf dem Friedhof unterwegs.  

Gast des Tattoo-Festivals vor den Wandmalereien auf dem Friedhof in La Paz. Foto: Freddy Barragán (Página Siete)

Ich habe schon länger nichts mehr von mir hören lassen. Das hat damit zu tun, dass sich mein Arbeitspensum in den letzten zwei Wochen ziemlich erhöht hat. Ich verschulde das ein bisschen selber: Bei der Sonntagsbeilage Rascacielos fühlte ich mit der Social Media-Betreuung und den kleineren Textaufträgen nicht wirklich ausgelastet. Vor allem aber fehlte mir auch das journalistische Arbeiten, das Gefühl eines Teams (die Rascacielos-Redaktion kommt nur zwei Mal in der Woche zusammen) und die Möglichkeit, „auf die Strasse“ rausgehen zu können. Denn theoretisch könnte ich die Social Media-Arbeit ja auch von Bern aus machen.

Mein Arbeitsplatz. Mit der Zeitungssoftware Fred stehe ich noch etwas auf Kriegsfuss. Foto: Leonie Marti 

Es war dann mehr oder weniger Zufall, dass ich in der Kulturredaktion landete. An meinem ersten Arbeitstag hatte ich mit Fernando, dem Kulturchef von Página Siete, Mittag gegessen und er meinte dann bei einer Begegnung im Büro, seine Redaktorin sei gerade zwei Wochen in den Ferien, ob ich sie nicht ersetzen möchte. Klar, fand ich. (Wenn ich sie nicht ersetzt hätte, dann hätte der Kulturteil einfach eine Seite weniger gehabt.)

Mein erster Arbeitstag als Kulturredaktorin begann mit einer Whatsapp-Nachricht von Fernando am Morgen – mit einer Telefonnummer und einem Kurzhinweis auf ein Konzert. Ich sprach mit dem Dirigenten eines der grössten Orchester der Stadt über sein Stück und seinen persönlichen Bezug zu den andinen Mythen und Figuren, die darin vorkommen. Für mich war es eine schöne Erfahrung zu merken, dass der Unterschied zwischen Radio- und Zeitungsjournalismus viel kleiner ist, als ich gedacht hatte. Sicher hat mir dabei geholfen, dass ich fürs Radio auch oft Textbeiträge verfasse. Und die Interviewtechniken sind ja dieselben.

Keine Sitzungen – und die Informationen gibt’s vor Ort

Grundsätzlich läuft der Redaktionsalltag bei Página Siete so: Am Morgen sind nur die Abteilungsleiter im Büro und besprechen an einer Sitzung die Tagesthemen. Die RedaktorInnen sind unterwegs und machen Interviews – in Absprache mit ihren jeweiligen ChefInnen. Wenn alle am Morgen auf die Redaktion im Süden der Stadt reisen würden, wäre das ein viel zu grosser Zeitverschleiss, heisst es (und dem würde ich zustimmen). Ab 14’30 Uhr – das Mittagessen ist vielen BolivianerInnen heilig – kommen dann die RedaktorInnen ins Büro und schreiben ihre Artikel. Das geht dann sicher bis 19 Uhr, oft wird es aber auch später. Ich schrieb immer einen grösseren Artikel pro Tag und half dann noch, Agenturmeldungen umzuschreiben.

Häufig verfüge ich über kaum mehr als eine Telefonnummer der Person, die ich interviewe. Recherchen laufen via Google und Facebook – so etwas wie ein Pendant zur Schweizer Mediendatenbank gibt es nicht. Die häufigsten Kommunikationsmittel sind Whatsapp, Facebook oder das Telefon. Manchmal ist bei meinen Interviews ein Fotograf oder eine Fotografin dabei, oft muss ich aber selber Fotos besorgen – entweder mit meiner eigenen Kamera oder über die InterviewpartnerInnen.

Dass ich manchmal nur sehr wenig Zeit hatte, um mich auf die Themen und Gespräche vorzubereiten, war für mich zu Beginn eher stressig. Ich habe mich aber mittlerweile daran gewöhnt und gemerkt, dass ich die meisten und besten Informationen vor Ort bekomme.

Im Gespräch mit Sui Generis-Gründer (die „Beatles“ von LA) Nito Mestre und Adrián Barrenechea. Foto: Victor Gutiérrez (Página Siete)

Gute Begegnungen

Und so hatte ich in den letzten zwei Wochen jeden Tag spannende Begegnungen: Etwa mit der argentinischen Rock-Legende Nito Mestre und seinem bolivianischen Pendant Adrián Barrenechea, die über ihre Freundschaft sinnierten; mit dem Schauspieler Antonio Peredo, der mir von seinem Onkel erzählte, der mit Che Guevara in der Guerrilla gekämpft hatte (im Artikel ging es aber um sein neustes Stück); mit Dichtern aus Finnland, Deutschland oder Argentinien, die für das Internationale Poesie-Festival nach La Paz gereist sind und sogar in der Seilbahn ihre Gedichte lasen; oder mit einer Gruppe TätowiererInnen aus aller Welt, die vor der Eröffnung der Tattoo Convention, wofür sie nach La Paz gereist waren, noch einen Besuch auf dem Friedhof machten – wo gerade das Fest der Ñatitas (Totenköpfe)  gefeiert wurde. Die Geschichte der Tätowierer landete dank der grossartigen Fotos des Fotografen Freddy sogar auf der Titelseite.

Was sonst vor allem die Schlagzeilen dominiert? Gerüchte, dass ein achtjähriges Kind von Minenarbeitern lebend geopfert wurde. Widerstand gegen die Zahlung des Weihnachtsgelds (der sogenannte „doble aguinaldo“, so etwas wie ein 13. Monatslohn). Dass Präsidentschaftskandidat Carlos Mesa Aymara-Unterricht nimmt. Der brasilianische Korruptionsskandal „Lava Jato“, in den auch der aktuelle Präsident Evo Morales und seine Vorgänger involviert gewesen sein sollen. Und gestern ist gerade ein weiterer grosser Skandal aufgedeckt worden: Offenbar wurden zahlreiche bolivianische BürgerInnen ohne ihr Wissen als Parteimitglieder eingetragen, sowohl vom MAS als auch von der Opposition. Und der Witz: Um sich wieder austragen zu lassen, muss man 30 Bolivianos bezahlen. An Themen fehlt es in Bolivien nicht.

Man muss Zeitungen ja nicht unbedingt kaufen… Foto: Leonie Marti

Heute ist meine Kollegin aus der Kulturredaktion aus den Ferien zurückgekommen. Ich werde aber voraussichtlich weiterhin ein paar Tage in der Woche über Kulturthemen schreiben können – das freut mich sehr. Mal schauen, ob ich mich in dieser Zeit mit der Zeitungssoftware Fred noch etwas besser anfreunden kann.

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