Ankommen in Nepal: «Do you know Interlaken?»

Ich bin jetzt zwei Wochen in Kathmandu, alle sind nett mit mir, das Essen schmeckt, die Sonne scheint. Die obligatorischen Ankunftsschocks sind moderat, hier trotzdem eine Top-6.

1. Willkommen in der 6-Tage-Woche

Ich werde schon einen Tag vor eigentlichem Antritt ins Büro bestellt. Es ist Sonntag und ich leicht irritiert, werde dann aber informiert: Nepal hat eine sechs Tage-Woche. Sonntag ist ein ganz normaler Arbeitstag. Offensichtlich sieht man mir meine Bestürzung an. «Yeah, a two day weekend would be better, wouldn’t it», nickt mein Chef; Mitleid spricht aus seinem Gesicht. Ich weiss nicht, ob mit mir, weil ich so ein zartes Pflänzchen bin, oder mit sich selbst, wegen seiner dauerhaften 6-Tage-Woche. Ich unterlasse zu sagen, dass ich in der Schweiz meistens nur vier Tage die Woche arbeite. 

2. Nepal kennt Interlaken

Rishika ist die zweite Person des Teams, die ich an diesem Arbeits-Sonntag kennenlerne. Sie bereitet mich auf etwas vor, was ab dann ständig passiert. Ich werde mit einer wahnwitzigen Frequenz auf Interlaken angesprochen – am Ort im Berner Oberland spielen mehrere Bollywood-Klassiker. Die Standardkonversation geht so: «Where are you from?» – «Switzerland» – «Ah. Interlaken?» – «No Zurich.» – «Ah, but do you know Interlaken» – «Yes, I do.» – «Interlaken is very nice.» – «Yes.»

3. Realitäts-Check: Adresslos in Kathmandu

Mein zweiter Interviewtermin lehrt mich: Adressen existieren nur teilweise. Strassen haben bei weitem nicht alle einen Namen, Häuser bei weitem nicht alle Nummern. Ich bin eigentlich notorisch überpünktlich, aber dann stehe ich fünf nach Interviewtermin komplett verloren an einer Schotterstrasse in einem Vorort von Kathmandu. Es ist drückend warm, der Staub in der Luft wird auf meinem Schweissfilm zu einer dezenten Schicht Matsch. Die Strasse endet an einem Eisentor, dahinter liegt die Schule «Little Angels». Mir wurde gesagt ich finde das Büro meiner Interviewpartnerin «on the road» hierher. Ich finde es nicht. Ein freundlicher Little Angel gibt sein Bestes, um mir den Weg zu weisen, weiss aber auch nicht wirklich weiter. Ich sage ihm, ich käme schon klar. Er sagt: «But Mam, you’re lost». Ich sage ihm, das wisse ich, er dürfe aber trotzdem weiterziehen. Er nickt und sagt, das müsse er eigentlich auch: «A Math exam, mam». Ich wünsche ihm viel Glück. Er mir auch.

Meine Interviewpartnerin informiert mich schliesslich, dass ich komplett falsch bin und schickt mir einen Fahrer. Die Wachmänner der Schule indes glauben mir nicht wirklich, dass meine Rettungsmission schon gestartet ist und mir gesagt wurde, ich solle mich nicht bewegen. Sie wollen mir ein Taxi bestellen. Und als ich das nicht will, tragen sie mir einen Stuhl und Wasser heran.

4. Schneidersitz? Von nun an kein Problem

Hier, vor diesem Büro der Interviewpartnerin, wird wie vielerorts erwartet, dass ich meine Schuhe ausziehe. In manchen Häusern existiert ein komplexes System aus verschiedenen Schlappen für verschiedene Räumen. In Innenräumen eigentlich nie Schuhe zu tragen macht es möglich, permanent im Schneidersitz auf allen Stühlen zu sitzen. Eine Angewohnheit, die mir meine Mutter seit jeher auszutreiben versucht, weil angeblich unhöflich. Hier komplett normal. Ein kleiner später Sieg über meine Erziehung. 

5. Trekking-Vorbereitungen: Ansichtssache

An meinem ersten Ein-Tag-Wochenende quatscht mich ein Australier an und will wissen, für welchen Trek ich hier bin. Er gibt fröhlich zur Auskunft, dass er den 14-tägigen Everest-Base-Camp-Trek machen will. «So far I’ve been on one hike in my life, mate. Like a four hour thing. Man it was exhausting, but I heard they carry all your shit here, so it should be good fun, mate.» Er war letztes Jahr schon einmal am Start für den berühmten Trek; ist dann aber «mad sick» geworden. Neben meiner Mutter wurde ich vor allem von Suva-Unfall-Präventionskampagnen erzogen. Eine empörte Sorge macht sich in meiner Brust breit, für die ich mich natürlich sogleich schäme, weil so peinlich kleinkariert. Die Scham beruhigt sich als sich am nächsten Tag eine nepalesische Bergführerin lautstark über die unvorbereiteten Leute auf den Treks nervt. 

6. Lacht nur – Ich liebe meinen Helm

Während ich mich für mein Schweizer Vorbereitungs-Fimmel beim Wandern noch schäme, begegne ich an eine anderen Sicherheitsfrage mit mehr Arroganz und halte meine Herangehensweise für die einzig vernünftige: Der Verkehr von Kathmandu funktioniert weitgehend mit Taxi-Motorrädern. Beifahrer müssen keinen Helm tragen und tun das auch nicht, ich leide Todesangst. Nach einigen Fahrten tu ich mir immerhin einen Fahrradhelm zu den ich jetzt in meinem Rucksack rumtrage und auf mein Köpfchen setze, bevor ich auf die Motorräder steige. Die Fahrer kichern unverhohlen. Das Ding hat dafür Wiedererkennungswert. Als ich in einem mir noch unbekannten Stadtteil einen Kaffe bestelle – ich habe hier einen Interviewtermin und bin eine geschlagene Stunde zu früh, weil vom Verspätungs-Desaster noch tief gezeichnet, mustert mich der Mann hinter der Theke während er die Milch schäumt und sagt schliesslich, er kenne mich. Ich sei die mit dem Fox-Fahrrad-Helm. Ob ich Französin sei? Der Helm wirke so französisch. Ich sage «Nein, aus der Schweiz – Er sagt: «Ah. Interlaken?»

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