Beobachtungen aus der Online-Redaktion in Ghana: Journalismus mit wenig Ressourcen
Dutzende veröffentlichte Artikel, Anrufe ins Leere, aber auch viele spannende Interviews und Recherchen – Das ist meine Bilanz kurz vor der Heimreise. Ich habe in der brütenden Hitze einem Fussball-Scout über die Schultern geschaut (Sonnenbrand inklusive), mit einer Politikerin über die Hürden für Frauen in der Politik gesprochen oder mit einer lokalen NGO die Strassen Accras für einen Artikel aufgeräumt.
Über die Autorin
Seit mehreren Jahren arbeite ich bei Radio SRF. Bevor ich dieses Jahr in die Auslandsredaktion wechselte, war ich lange Produzentin und Redakteurin bei SRF 4 News. Dort habe ich mich um die politischen und wirtschaftlichen Meldungen im In- und Ausland gekümmert. In der Auslandsredaktion liegt mein Fokus nun ganz auf der internationalen Berichterstattung.
In den letzten Wochen habe ich als Stagiaire für «Pulse Ghana» gearbeitet. Das private Medienunternehmen ist ausschliesslich online und über die sozialen Medien erreichbar. Wer gerne lange Analysen liest, ist hier fehl am Platz. Die Zielgruppe – junge Menschen – sucht bei Pulse nach den «juicy stories» mit vielen Bildern und Videos. Dieses Bedürfnis prägt die redaktionelle Arbeit, wie ich während meiner Zeit im Redaktionsteam erfahren habe.
Die Arbeit in der Redaktion
Als Redakteurin schrieb ich Artikel für die Webseite von Pulse und konnte mich dabei ganz auf Politik und Wirtschaft konzentrieren. Meine Arbeitskolleg:innen decken neben ihren Kernthemen ein breites Themenspektrum ab: von Lifestyle («7 Gründe, warum man seinen Partner nie betrügen sollte») über Unterhaltung («Sollten Masken ein Modestatement sein?») bis hin zu Politik und Sport, wobei letzteres meist Fussball bedeutet. Internationale Themen spielen dagegen eine deutlich geringere Rolle. Es sei denn, sie haben einen direkten Bezug zu Ghana oder sprechen ein junges Publikum an.
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Wir arbeiten etwa neun Stunden am Tag. Meine Kolleg:innen schreiben in dieser Zeit fünf Artikel. Ich schaffe höchstens einen. Das liegt nicht nur daran, dass ich neu in Ghana bin und die hiesige Medien- und Politiklandschaft weniger gut kenne, sondern auch daran, dass ich in einer Fremdsprache schreibe und für meine Artikel längere Interviews führen darf. Das ist etwas, das meinen Kolleg:innen selten möglich ist. Sie arbeiten hauptsächlich von ihrem Schreibtisch aus und beziehen ihre Informationen aus anderen Zeitungen, sozialen Medien oder online übertragenen Pressekonferenzen.
Quantität vor Qualität?
Wenn ich meine Kolleg:innen oder meinen Chef frage, ob das rasante Tempo von fünf Artikeln nicht auf Kosten der Qualität geht, ernte ich Verwunderung. Früher, so wurde mir erklärt, mussten sie sogar sieben Artikel schreiben. Aus Qualitätsgründen sind heute nur noch die fünf pro Tag Pflicht.
Diese Menge hat aus meiner Sicht ihren Preis. Die Artikel greifen oft nur aktuelle Ereignisse oder Social-Media-Trends auf, ohne sie in einen grösseren Kontext einzuordnen. Tiefergehende Analysen oder umfassende Recherchen sind in diesem Tempo kaum möglich. Hinzu kommt, dass Quellen und Fakten schnell überprüft werden müssen. Fehler passieren so häufiger.
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Die kurzen Artikel sind Teil der Strategie, aber auch die begrenzten Ressourcen sind ein Faktor. Es fehlt an grundlegender Ausrüstung, wie Computern oder Mikrofonen genauso wie an einem zweiten Bildschirm, der die Arbeit erleichtern würde. Auch das Team ist klein: Sechs Personen müssen den kontinuierlichen Fluss neuer Inhalte auf der Webseite aufrechterhalten. Ein Kollege erzählte mir, dass er deshalb am Wochenende Interviews führt, um seine tägliche Vorgabe trotzdem zu schaffen.
Klicks als Feedback
Ob meine Kolleg:innen diese Vorgabe erfüllen, wird in der wöchentlichen Teamsitzung geprüft: Wie viele Artikel wurden publiziert? Wie viele Wörter geschrieben? Und vor allem: Wie viele Klicks generiert? Sinkt die Klickzahl, wird diskutiert, was schief gelaufen ist. Zum Beispiel, ob der Titel zu unattraktiv war. Inhaltliches Feedback zu den Artikeln gibt es dagegen selten.
Zwar sind Klicks in der Online-Welt eine wichtige Währung für Reichweite und Erfolg und schlechte Inhalte können auch dort abgestraft werden. Doch die Jagd danach birgt Risiken: Sie fördert reisserische Schlagzeilen oder sensationslüsterne Inhalte.
Marketing oder Journalismus?
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Die Tatsache, dass die Klickzahlen eine wichtige Rolle spielen, hat einen weiteren Grund: Pulse ist auch eine Marketingfirma. Mehr Klicks bedeuten eine grössere Reichweite, was wiederum Firmen anzieht, die Marketingaufträge vergeben oder Anzeigen schalten. Der Chefredakteur hat es mir so erklärt: «Nur mit dem Marketing können wir den Journalismus finanzieren».
Doch die Grenzen zwischen Journalismus und Marketing verschwimmen. Ein konkretes Beispiel: Neulich erschien ein Artikel über ein neues Versicherungsprodukt einer grossen Firma. Dabei wurden die lobenden Worte des CEOs von der Pressekonferenz praktisch übernommen. Ob es eine Zusammenarbeit zwischen Pulse und der Firma gibt, ist unklar. Aber, auch ohne solche Verflechtungen entspricht Werbung für eine Firma nicht den journalistischen Grundsätzen. Vor allem leidet dabei auch die Glaubwürdigkeit eines Mediums.
Für uns Mitarbeiter:innen hat das Marketing durchaus Vorteile: Bei bestimmten Kooperationen gibt es für uns ein «Gratiszmittag», bei dem wir dafür gefilmt werden. Es zeigt aber auch, wie eng Marketing und Redaktion miteinander verwoben sind.
Skepsis in der Bevölkerung gegenüber ghanaischen Medien
Pulse Ghana ist eines von ganz vielen Medienunternehmen im Land, aber nicht das einzige, das mit knappen Ressourcen zu kämpfen hat. Dies sind aber nicht die einzigen Herausforderungen für ghanaische Journalist:innen. Laut Reporter ohne Grenzen ist Ghana auf der Rangliste der Pressefreiheit von Platz 23 im Jahr 2018 auf Platz 50 abgerutscht, obwohl die Verfassung die Pressefreiheit in Ghana garantiert. Journalist:innen berichten von Drohungen, Angriffen oder Behinderungen durch die Polizei. Zwar haben meine Kolleg:innen solche Erfahrungen selten gemacht, doch mussten sie sich schon mit Zivilklagen auseinandersetzen, etwa wegen kritischer Berichte über Politiker.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass ein Drittel der Medien des Landes Politikern oder Personen mit Verbindungen zu politischen Parteien gehören. Solche Strukturen beeinflussen natürlich auch die Wahrnehmung der Medien. Laut dem Afrobarometer, einem panafrikanischen Meinungsforschungsinstitut, steht die Mehrheit der Bevölkerung in Ghana privaten und staatlichen Medienunternehmen skeptisch gegenüber.
Für eine funktionierende Demokratie sind unabhängige und freie Medien von grosser Bedeutung. Sie tragen nicht nur zur Meinungsbildung bei, sondern üben auch eine gewisse Kontrollfunktion gegenüber öffentlichen Institutionen und Politiker:innen aus. In Ghana, wo das demokratische System noch relativ jung ist, sind freie Medien vielleicht noch wichtiger, weil sie auch das Vertrauen in die Demokratie stärken.
Was ich mitnehme
Meine Zeit bei Pulse Ghana hat mir gezeigt, wie unterschiedlich journalistische Arbeit sein kann und wie sehr sie von den äusseren Umständen abhängt. Ich habe grossen Respekt vor meinen Kolleg:innen, die unter schwierigen Bedingungen jeden Tag Inhalte erstellen – mit Schnelligkeit und viel Engagement und mit einigen Kompromissen, bei denen ich froh bin, dass ich sie zu Hause nicht machen muss.
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