Besuch eines Oppositionspolitikers und aufgehobene Online-Sperre auf der Redaktion in Tansania
Der Regen ist nach der Trockenzeit zurück in Dar es Salaam. In der Nacht trommelt er auf die Wellblechdächer und verschluckt alle anderen Geräusche. Den Muezzin hört man nicht mehr, das Gejohle des übertragenen Fussballmatchs und auch das Gegacker der Hühner und Muhen der Kühe in der Nachbarschaft werden übertönt.
Mit dem Regen kommt auch die Hitze, und die Strassen und Häuser werden überflutet. Besorgt fragen meine Arbeitskollegen, ob es bei mir zu Hause trocken bleibe. In ihrer Nachbarschaft sei schon viel überschwemmt worden. Auch im Innenhof des Communication-Centers hat sich das Wasser gesammelt. Abgesehen von der grossen Pfütze vor meinem Haus ist es bei mir glücklicherweise trocken geblieben.
Im Newsroom merkt man kaum etwas vom Wetterwechsel. Es bleibt konstant 17 Grad kalt. In meiner zweiten Woche ist die Stimmung angespannt.
Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren
Der vergangene Freitag galt als Tag Null. Da wurde die Online-Sperre aufgehoben: Der Online-Desk war dabei, sämtliche Publikationen des letzten Monats zu durchforsten, damit diese online gepusht werden können.
«Wir wollen, dass die Leute froh sind, dass wir wieder online sind», sagt «Onliner» Seif, der die lange Liste der wichtigsten Artikel erstellte. Auch verfasste er eine Rede für den Chefredaktor, die er am Freitag via X verbreitete. Darin sprach Mpoki über das «innovation, technology and start-up ecosystem» in seinem Land. Es sei «Goodnews», dass Tansania zu den Top-Fünf der Afrikanischen Ländern gehöre, die im letzten Jahr am meisten Start-Up Funding angezogen haben. Er verlor kein Wort über die Sperre. Erst zum Schluss erschien der Schriftzug: «We are back! Your trusted source is back online! Thank you for sticking with us, we’re back to delivering the news that matters most.»
Besuch eines Oppositionspolitiker auf der Redaktion
Mitten in diesem Trudel erscheint ein Mann mit imposanter Statur schwadronierend auf der Redaktion. Im Schlepptau hat er einen Fotografen und einen Kameramann, die die Szene festhalten. Er schüttelt die Hände meiner Kollegen. Macht die Runde fast im ganzen Newsroom und setzt sich mit einem der Chefs in dessen verglastes Büro. Das sei Boniface Jacob, der Oppositionsführer der Chadema-Partei. Er ist im September verhaftet worden und jetzt auf Kaution wieder auf freiem Fuss, flüstert mir mein Sitznachbar zu. Was er hier mache, wisse er nicht. Und schon nach wenigen Minuten rauscht der Politiker wieder aus der Redaktion.
Wenige Tage später publizierte die Zeitung Mwananchi, die auch hier im Newsroom arbeitet, einen grossen Artikel über den Politiker. Lesen konnte ich ihn nicht, da er auf Suaheli erschien. Klar ist: Jacob ist in Wahlkampfmodus. Am 27. November finden hier Wahlen auf lokaler Ebenen statt. Und Jacob will seinen Posten als Bürgermeisters eines Districtis in Dar es Salaam verteidigen.
Den Freitag bekam ich nur aus der Ferne mit. Ich war in Arusha ganz im Norden des Landes und interviewte ein Schweizer Ehepaar, das hier ein Craft Beer braut.
Seit Anfang Woche arbeite ich an meinem ersten Artikel für den Citizen. Das Thema scheint unverfänglich: Die kleine Craft-Beer-Szene in Tansania, die in der wachsenden Mittelschicht ihre Kundschaft sieht. Im ganzen Land gibt es gerade zwei Brauereien, die sich vom industriell gebrauten Bier absetzen: Die «Crafty Dee’s Brewery» in Dar es Salaam. Sie wird geführt von Chintu Patel, der sich mit dieser Brauerei einen Traum verwirklicht. Und die «Twiga» Brauerei in Arusha, die einem jungen Schweizer Ehepaar gehört und geführt wird.
Ausgeklügeltes Überwachungssystem
In der Schweiz wäre eine Medienanfrage bei beiden mit offenen Armen begrüsst worden: Publizität wirkt sich immer gut auf kleine Unternehmen aus. Doch hier merke ich, wie beide Brauereien mit Vorbehalten reagieren. Chintu Patel erklärt, dass er schon einmal interviewt wurde und danach die Steuerbehörde vor der Tür stand. Verzweifelt suchten sie nach versteckten Einnahmen. Und als sie nichts fanden, musste Patel trotzdem zahlen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, als er erzählt, wie er von den Behörden schikaniert wird: Razzien in seinem Haus, Mitarbeitende, die verhaftet werden und teure Lizenzen, die er alle sechs Monate erneuern muss. Aber: Bitte nichts darüber im Citizen schreiben.
Auch die Twiga-Brauerei in Arusha hat mit aufdringlichen Behörden zu kämpfen. «Wenn sie nichts Illegales finden, dann werden einige schon fast wütend», erklärte Saphira von Moos. Gleichzeitig wäre ein Artikel auch eine Chance, ihr Produkt der wachsenden Mittelklasse zu präsentieren, ist ihr Ehemann Raphael Flury überzeugt. Ihre Kundschaft sei die Leserschaft des Citizen.
Das Überwachungs-System im Land scheint ausgeklügelt und perfide. Übermässige Kontrolle scheint gar nicht nötig zu sein. Quellen und Zeitungen berichten nur so weit, dass sie ungeschoren bleiben. Es wird sich also zeigen, ob ich einen Artikel über ein bei uns völlig unverfängliches Thema veröffentlichen kann.
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