Regionale Wahlen in Tansania: Mit dem Tuktuk zum Wahllokal
In der Schweiz arbeite ich für eine lokale Tageszeitungen. Wahlen und Abstimmungen auf Gemeindeebene sind wichtige Momente für eine Lokaljournalistin. Da geht es darum, die Resultate schnell zu verbreiten, Reaktionen einzuholen und zu kommentieren. Abstimmungssonntage sind lang und das Bier und die Pizza nach getaner Arbeit mit den Kollegen schmecken besonders gut.
Entsprechend war ich gespannt, wie die lokalen Wahlen hier beim The Citizen im Newsroom ablaufen. Es ging um die Wahl der Regierung von 12’333 Dörfern, 4’269 Nachbarschaften and 64’274 Weilern, wie The Citizen berichtete. Meine Kollegen hatten schnell meine Aufregung und Vorfreude bemerkt und waren erstaunt darüber. Es seien keine nationalen Wahlen, meinten sie schnell, um meine Erwartungen klein zu halten. Die wichtigen Wahlen fänden erst nächstes Jahr statt, wenn es um die Präsidentschaft gehe. Die lokalen Wahlen wurden lediglich als Testlauf für die kommende gesehen.
Keine Aufregung vor den Wahlen
Wer keine Zeitung liest, hätte in den Wochen und Tagen vor den Wahlen auch gar nicht realisiert, dass sie bevorstehen. Zugegeben, ich weiss nicht, was im Radio berichtet wurde, dass das wichtigste Medium im Land ist. In den Strassen suchte man vergeblich nach Wahlplakaten. Die allermeisten Tansanierinnen und Tansanier, mit denen ich gesprochen hatte, gehen nicht wählen. Es sei eine Zeitverschwendung, hörte ich oft als Grund. Es spiele keine Rolle, wer an der Macht sei, waren viele überzeugt.
Als ich diese Beobachtung auf der Redaktion ansprach war die allgemeine Antwort: Tansania muss Demokratie noch lernen, und das seien Symptome einer jungen Demokratie. Erst seit den 1990er-Jahren finden im Land regelmässig Wahlen statt. Meine Anfrage, dass ich einen Journalisten an diesem Tag begleiten möchte, stiess im Newsroom nicht auf grosse Begeisterung. Das sei zu gefährlich, waren sich die meisten sicher. «Kannst du schnell rennen?», witzelte eine Kollegin. Es sei schon vorgekommen, dass es zu Ausschreitungen gekommen sei.
Kein Stau dank Wahlen
Am Wahltag selbst kam ich früh in der Redaktion an. Es wurde an einem Mittwoch abgestimmt und da anlässlich der Wahlen ein Feiertag ausgerufen wurde, sauste ich zum ersten Mal ohne Stau ins Büro. Und dort liess sich mein Arbeitskollege Julius überzeugen, dass ich ihn begleiten kann.
Der Plan war, Reaktionen der Wählerschaft einzuholen und auch zu kontrollieren, ob alles mit rechten Dingen zu und her geht, erklärte mir Julius auf dem Weg in die erste «polling station». Wie auch in der Schweiz befinden sich die meisten Wahllokale in Primarschulen. Seine Aufgabe war es, fünf Orte zu besuchen und dort mindestens zwei Stimmbürgern zu interviewen.
An der ersten Station angekommen, suchte Julius zielstrebig den ranghöchsten Polizisten. Dieser sass vor Ort auf einem Plastikstuhl und drückte auf seinem Handy herum. Er fragte um Erlaubnis, die Interviews durchzuführen. Die Weisung war, dass sie ausserhalb des Schulgeländes stattfinden müssen.
Wieso wollen viele nicht mit der Presse sprechen?
Also stellten wir uns auf die Strasse. Die gleissende Sonne brannte auf unsere Köpfe. Schon bald kam der erste Mann aus dem Tor geschritten und gab bereitwillig Antwort. Es ginge darum, die fähigsten Führer für das Land zu wählen, übersetzte mir Julius später. Wenige Zeit später interviewte Julius zwei Frauen. Verlegen und knapp beantworten sie die Fragen über ihre Motivation.
Ihre Antworten seien nicht sehr interessant, meinte Julius später. Es sei aber wichtig, mehr Frauen in der Zeitung abzubilden, erklärt er: «I am a feminist.» Er erlebe es oft, dass Frauen gar nicht mit ihm sprechen wollen. Und sobald sie tatsächlich etwas sagen, dann sei es immer kurz und knapp.
In den nächsten Stunden wurde das deutlich: Mehrmals winkten Frauen ab und wollten ihre Meinung nicht mit Julius teilen. Aber auch einige Männer trauen sich nicht. «In Tansania haben viele Menschen Angst, mit Medien zu sprechen», erklärte Julius. Gleichzeitig erleben wir auch Männer, die freimütig die Regierung kritisieren: Es seien zu wenige Kandidaten der Opposition zugelassen worden und so gäbe es keine richtige Auswahl, war ein häufiger Kritikpunkt.
Die Stimme kann nur mit viel Geduld abgeben werden
Auch die Art und Weise, wie gewählt wird, wurde kritisiert. Es sei zu umständlich und kompliziert. Zuerst müsse man sich registrieren. Dann wird mitgeteilt, in welcher Schule man seine Stimme abgeben kann. Dort fängt dann die Mühsal erst an: Auf handgeschriebenen, nicht alphabetisierten Listen muss der eigene Name gefunden werden, um zu erfahren, in welchem Schulzimmer man die Stimme abgeben kann.
Als ich die Prozedur fotografieren wollte, riss mir Julius erschrocken das Handy aus der Hand. Hier dürfe nicht fotografiert werden, schärfte er mir ein. Die vielen Bilder im Onlineartikel des Citizens gaben ihm Unrecht. Es zeigt aber die grosse Verunsicherung der Journalistinnen und Journalisten, wie man über eine Wahl berichten kann und muss.
Nach etlichen Stunden in der brütenden Hitze war Julius fertig mit seiner Tour. Den Artikel hatte er auf seinem Handy im Tuktuk geschrieben, das uns von einer Wahlstation zur nächsten brachte.
Zurück auf der Redaktion erklärte mir der Tagesverantwortliche, dass in der morgigen Zeitung die Resultate noch nicht verkündet werden. Erst in den kommenden Tagen können alle Stimmen ausgezählt sein. Es gebe einen grossen Sammelartikel über den Urnengang im ganzen Land. Von der Hauptstadt Dodoma bis zur zweitgrössten Stadt Mwanza im Norden des Landes zurück nach Dar es Salaam berichteten Journalistinnen und Journalisten über die Geschehnisse. Glücklicherweise musste in keinem Landesteil ein Journalist rennen. Die Wahlen blieben friedlich.
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