Von Fufu, Tro-Tros und anderen ghanaischen Gewohnheiten
Seit drei Wochen lebe ich nun in Accra und mittlerweile bin ich im lokalen Alltag angekommen. Wenn ich mit Freund:innen und der Familie aus der Schweiz telefoniere, drehen sich die Gespräche oft um die Unterschiede zwischen Ghana und der Schweiz.
Bei Stromausfall zünde ich meine zwei Notfallkerzen an, bis der Generator anspringt. Und wenn es kein warmes Wasser gibt, weckt mich halt eine kalte Dusche. Das instabile WLAN reduziert meinen Social-Media Konsum, und während viele Menschen hier den Sonntagmorgen in der Kirche verbringen, geniesse ich die Gelegenheit, stressfrei einkaufen zu gehen.
Ungeschriebene Regeln beim Mittagessen
Hatte ich in der Schweiz unregelmässige Arbeitszeiten, ist mein Tagesablauf hier ziemlich routiniert. Dazu gehört der morgendliche Ingwer-Ananas-Saft, der die früher obligatorischen drei Tassen Kaffee ersetzt. Das Mittagessen bestelle ich, wie viele meiner Arbeitsgspänli, über Bolt (ähnlich wie eats.ch) und esse im Pausenraum.
Während man in der Redaktion sonst Stimmen und Musik von allen Seiten hört, ist es hier ungewöhnlich still. Die meisten sind in ihr Handy vertieft, schauen Videos oder hören Musik. Wenn man die eher laute SRF-Kantine gewohnt ist, ist dies zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Mittlerweile habe ich aber verstanden, dass Gespräche während des Mittagessens in meiner Redaktion eher unüblich sind.
Fufu: Ein Gericht für Profis
Ganz anders ist es, wenn ich freitags mit meinem Arbeitskollegen Montel auswärts essen gehe. In der „Bush Canteen“ herrscht reges Treiben und an den Tischen wird angeregt diskutiert. Montel zeigt mir hier die traditionellen ghanaischen Gerichte und führt mich in die lokalen Tischmanieren ein.
Für mich gab es in der „Bush Canteen“ mein erstes «Fufu», eines DER Nationalgerichte Ghanas. Fufu ist ein ungwürzter Brei aus Maniok und Kochbananen, und wird zu einer scharfen Suppe mit Fleisch und/oder Fisch serviert. In meinem Fall, weil wir zu spät kamen, gab es Hühnerfüsse.
Mit links isst man nicht
Beim Fufu befolgt man – ähnlich wie beim Fondue in der Schweiz – eine Vielzahl ungeschriebener Regeln. In den traditionellen Restaurants stehen eine Schüssel, ein Wasserkrug und etwas Seife auf den Tischen. Hat man sich die Hände gewaschen, muss darauf geachtet werden, dass man nur mit der rechten Hand isst. Die linke gilt als unhöflich und wird während des Essens kaum benutzt. Beim Fufu beginnt man beim vorderen Teil des Tellers und arbeitet sich dann von rechts nach links vor. Man darf den klebrigen Brei nicht von oben abziehen, sondern von unten, und er sollte nicht gekaut, sondern direkt geschluckt werden.
Mein erster Versuch war ziemlich chaotisch, und mein Gesicht genauso mit Suppe bedeckt wie meine Hände. Das Fufu und die Suppe schmeckten mir, doch kostete es mich einige Überwindung, in einen Hühnerfuss zu beissen. (Für alle, die diesen Teil des Huhns noch nie probiert haben: Die Haut ist fettig und gummiartig und die Knochen überraschend weich – jedenfalls im Vergleich zu dem, was ich erwartet hatte.)
Ich werde das Gericht sicher nochmals bestellen – wenn auch ohne die Hühnerfüsse.
Tro-Tro oder doch lieber Taxi?
Ich habe das Glück, dass ich zu meinem Büro zu Fuss gehen kann. Viele müssen sich durch den täglichen Stau kämpfen. Fahrten, die ohne Verkehr 20 Minuten dauern, können in der Rushhour auch mal bis zu zwei Stunden in Anspruch nehmen. Ich habe den Verkehr schon einige Male unterschätzt, weil ich mich auf die unzuverlässigen Zeitangaben von Google Maps verlassen habe.
Nur zu Fuss kommt man in der Metropole jedoch nicht weit. Deshalb mache ich vieles mit dem Taxi. Die Kosten variieren je nach Nachfrage und sind mit einem Tram-Billet in der Schweiz vergleichbar. Günstiger sind die Tro-Tro–Minibusse, die Platz für 10 bis 15 Personen bieten. Die Busse sind alt, haben Beulen und scheinen ewig funktionstüchtig zu sein. Während bei uns lediglich die Autobahnvignetten an die Scheibe geklebt werden, zieren hier Jesus-Sticker die Fahrzeuge. Und statt Duftbäumli, hängen Kreuze. Mit dem göttlichen Schutz kommt man schon sicher durch den Verkehr, so die weitverbreitete Annahme.
Ein Tro-Tro zu nehmen, ist für Neulinge wie mich verwirrend. Sie haben zwar feste Routen, aber keinen festen Fahrplan und keine fixen Haltestellen. Da ich immer noch Schwierigkeiten habe zu verstehen, wohin der Bus fährt, nehme ich im Moment noch häufiger ein Taxi.
Geschichten im Taxi
Taxifahren bedeutet für mich nicht nur, von A nach B zu kommen, sondern auch mehr über das Leben, die Hoffnungen und die Sorgen der Fahrer zu erfahren. Viele haben studiert, aber keine Arbeit gefunden und verdienen sich nun ihren Lebensunterhalt als Taxifahrer. Ihr grösstes Problem sind die hohen Lebensmittel- und Benzinpreise. Tatsächlich läuft die ghanaische Wirtschaft schlecht. Das Land ist hoch verschuldet, das Wachstum stockt, und die Inflation, ist in den letzten Jahren gestiegen. Heuer liegt sie bei 22%.
Viele Taxifahrer geben den Politiker:innen und der aktuellen Regierung die Schuld an der Misere. Das zeigt sich auch in den Umfragen: Das Vertrauen in die Politik ist auf einem Rekordtief angelangt und eine Mehrheit der Ghanaer:innen hält das Parlament und die Regierung für korrupt.
Deshalb drehen sich die Gespräche oft um die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Dezember – und um die Frage, welcher Präsidentschaftskandidat vielleicht etwas weniger korrupt ist.
Wahlen ohne Hoffnung auf Wandel
Obwohl ein Dutzend Kandidaten zur Wahl stehen, haben nur zwei ernsthafte Chancen: der amtierende Vize-Präsident der New Patriotic Party (mitte-rechts) und sein Herausforderer, der frühere Präsident vom National Democratic Congress (mitte-links). Die beiden Parteien wechseln sich an der Macht ab, seit Ghana sich 1992 in eine Mehrparteiendemokratie verwandelt hat.
Die Gefühle der Taxifahrer schwanken zwischen Resignation und Wut. Sie reichen von: «Ich wähle die Opposition, die jetzige Regierung ist noch korrupter» über «Ich gehe gar nicht wählen, es ändert sich ja eh nichts» bis hin zu «Das ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera».
Es scheint, dass die Wahl für viele eine Fortsetzung des Status quo zu sein scheint – ohne Hoffnung auf den erhofften Wandel.
Der Umgang mit Sicherheit
Obwohl Ghana als relativ sicher gilt, ist das Thema Sicherheit allgegenwärtig. Taxifahrer warnen mich regelmässig, mein Handy nicht bei offenem Fenster zu benutzen – vorbeifahrende Motorradfahrer könnten es stehlen. Gleichzeitig könne ich mich nachts an den meisten Orten problemlos bewegen, solange ich menschenleere Wohnquartiere meide.
Das Sicherheitsbewusstsein zeigt sich auch in den vielen Gated Communities. Sie fallen mir vor allem in den wohlhabenderen Vierteln auf: Die Häuser sind mit hohen Mauern und Stacheldraht gesichert und werden von Sicherheitsleuten bewacht. Auch ich wohne bei einer ghanaischen Familie in einem Gated House. Obwohl das Haus bewacht ist, haben alle Fenster Gitter, die Lichter auf der Veranda brennen auch nachts und um 21 Uhr werden sämtliche Türen abgeschlossen.
Für mich bedeuten diese Vorsichtsmassnahmen vor allem eines: Nie vergessen, mich abzumelden, wenn es einmal etwas später wird. Ansonsten könnte ich die Nacht auf der Veranda verbringen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, Fensterklettern bringt nichts, aber dafür freuen sich die Mücken.
Perspektivenwechsel
Ich kann meiner Familie und Bekannten also einiges erzählen: Der Alltag in Accra unterscheidet sich deutlich von Zürich. Regeln und Gewohnheiten, die für mich in der Schweiz selbstverständlich sind, sehen hier anders aus. Wenn man sich allerdings einmal daran gewöhnt hat, ist Ghana ein spannendes, lehrreiches, aber vor allem wunderschönes Land mit neuen Perspektiven – was sich auch im Arbeitsalltag widerspiegelt. Dazu aber ein andermal mehr. Für mich gibt es jetzt Fufu.
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