Mae Sot: Gestrandet in der Grenzregion

Besuch an dem Ort in Thailand, wo viele Menschen aus Myanmar Sicherheit suchen – und trotzdem in Angst leben. 

Mae Sot
Nach Mae Sot, sagt man mir, reisen nur Geflüchtete und NGO-Mitarbeitende. Bild: R. Drosner

Friendship-Bridge heisst die Brücke über den Moei. Der braune Fluss markiert die Grenze zwischen dem Kayin State in Myanmar und der Tak-Region Thailand. Doch freundschaftlich ist die Stimmung nicht mehr. Früher wurde hier rege gehandelt, viele Menschen haben täglich die Grenze passiert, um in Thailand besseres Geld zu verdienen. 

Fünf Stunden dauert die Reise von Mae Sot nach Yangon, Myanmars Hauptstadt. Die Verbindung zwischen den Menschen in Myanmar und Thailand war schon immer eng. Die Karen zum Beispiel, eine ethnische Gruppe, leben auf beiden Seiten des Flusses. Doch jetzt ist die Brücke gesperrt. 

Mehr als 30’000 Menschen aus Myanmar sind seit dem Coup 2021 über den Moei nach Thailand geflüchtet. Der Grenzort Mae Sot, in dem mal 52’000 Menschen gelebt haben, ist auf mehr als eine viertel Million Menschen gewachsen, schreibt The Diplomat.

Wie im Film

Bevor ich mich auf den Weg mache, warnen mich meine Kollegen, Mae Sot sei vor allem voll mit zwei Dingen: Gerüchte. Ich solle nicht alles glauben, was ich dort zu hören bekomme. Und: Spione. Es könne gut sein, dass Leute nicht mit mir sprechen wollen aus Angst, dass jemand Drittes mithört. Die Stimmung sei angespannt.

Die BBC beschreibt die Atmosphäre in Mae Sot wie „Berlin zur Zeit des Kalten Kriegs“, oder wie im Film „Casablanca“. Weil die einen aus dem Exil die Revolution planten, während andere in konstanter Angst lebten. Mir hilft die Reise besser zu verstehen, was die aktuelle Situation in Myanmar für die Menschen bedeutet.

Ohne Papiere, keine Sicherheit

Im Frühjahr 2024 waren es vor allem junge Männer und Frauen, die sich über den Moei nach Mae Sot in Sicherheit gebracht haben, weil die Militär-Junta verpflichteten Kriegsdienst für alle zwischen 18 und 35 Jahren verhängt hatte. Das grösste Flüchtlingscamp entlang der Grenze Mae La gibt es aber schon seit 1984. Es ist eine eigene Stadt aus Bambushütten, zwischen denen Bananenstauden wachsen. Minutenlang fährt man mit dem Auto am Zaun des Camps vorbei.

Viele der Menschen sitzen in der Region fest, weil die Thai-Behörden sie ohne gültige Papiere nicht weiter lassen. Sie sind illegal ins Land gekommen. Mit der Hilfe von Schleusern sind sie durch Wälder, über Reisfelder oder in Booten über den Fluss gekommen. 

In Interviews erzählen mir mehrere Menschen unabhängig voneinander, wie sehr sie nach ihrer Ankunft die Polizei gefürchtet haben. Yoon, eine 21-jährige Burmesin, hat nach ihrer Ankunft in Mae Sot Panikattacken entwickelt. Auch drei Jahre später und trotz gültiger Arbeitsbewilligung traut sie sich oft nicht, mit ihrem Scooter an einer Polizeistation vorbeizufahren. Und davon gibt es in Mae Sot viele.

Unsichtbare Parallelwelt

Als Europäerin werde ich zuweilen angestarrt. Mir fallen die vielen Polizeiwagen auf, aber meinen Pass will niemand sehen. Menschenschmuggler, Spione von Seiten der Militärjunta oder der Revolutionäre gehören zu einer Parallelwelt, die für mich unsichtbar bleibt. Als ich Yoon frage, ob sie mit Gleichaltrigen über ihre Ängste spricht, sagt sie: „Ich muss das gar nicht erwähnen, das ist für alle normal.“ Viele hätten Schlimmeres durchgemacht als sie.

Yoon trifft mich in ihrem Lieblingscafé. Es ist hip, eingerichtet mit hellen Holzhockern und Wänden in Pastellfarben, und hat ein oberes Stockwerk, zu dem man die Tür schliessen kann, um ungestört zu sprechen. Schon ein paar Tage vor unserer Verabredung hatte sie mich spontan auf der Strasse angehalten – ich auf dem Velo, sie auf dem Scooter: „Are you Ramona?“ In Mae Sot gibt es kaum Touristinnen oder Touristen, nur NGO-Mitarbeitende, Journalist:innen und Geflüchtete. Ein neues Gesicht erkennt man wohl schnell.

Viele sind traumatisiert

Ich bin beeindruckt, wie offen mir meine Gesprächspartner:innen von ihrem Leben erzählen. Sei es eine traumatische Flucht, Folter im Gefängnis oder dass es ihnen an jeglicher Perspektive fehlt.

Eine Psychiaterin an der Mae Tao Clinic in Mae Sot ist besorgt. Sie sagt mir im Interview, die Menschen hielten die Situation nach drei Jahren kaum mehr aus. Die Situation für die Menschen in Myanmar und der Grenzregion von Thailand sei vergleichbar: „Sie kommen nach Mae Sot und finden hier ähnliche Bedingungen vor — Unsicherheit in jeder Hinsicht.“ Sie leiden Hunger, fürchten um ihre Sicherheit, haben keine Jobs. „Das kann das Trauma neu auslösen, was sie in Myanmar oder auf der Flucht erlebt haben.“ Was die Geflüchteten hier zusammenhält? „Wir sind Überlebende,“ sagt Dr. Mon.

Als ich abreise, bleibt mir von Mae Sot vor allem eins in Erinnerung: Der unerschütterliche Glaube der Menschen aus Myanmar an die Revolution und das Ende der Militar-Junta.

Nachtrag: Meine Recherche aus Mae Sot ist bei Frontier Myanmar erschienen und hier online nachzulesen und in diesem Podcast zu hören.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert