Taub im Namen Gottes: Ein Besuch eines Gottesdienstes in Tansania

Szene am Sonntagabend in der Innenstadt. Bild: Judith Frei

Ja, Religion spielt eine grosse Rolle in Tansania. Auf den Dalla Dallas, das sind die öffentlichen Busse, sind oft Sprüche wie «Jesus loves you» oder «God bless you» aufgemalt. In Dar es Salaam findet man an jeder Ecke eine Kirche, an jeder zweiten Ecke steht eine Moschee. 63% der Bevölkerung sind Christen, 34% Muslime. Der Rest macht die Anhängerschaft traditioneller Religionen aus.

Nach meiner Diskussion über den Glauben vergangener Woche, die auch mein Arbeitskollege Eliya mitbekommen hat, lud er mich in «seine» Kirche ein. Ich solle ihn am Sonntagmorgen um 7 Uhr in die Calvary Revival Church, die zu der Pfingstgemeinde gehört und ihren Ursprung in den USA hat, begleiten. Da findet die Messe auf Englisch statt.

Müde aber neugierig bin ich pünktlich vor Ort. Eliya soll erst eine halbe Stunde später kommen. Ich werde aber sofort von Gemeindemitgliedern begrüsst und in die eher schmucklose Kirche geführt. Kleine Kinder in festlichen Kleidern wetzen im Raum umher, einige Frauen beten knieend oder umherspazierend – als ob sie für einen Vortrag üben. Pünktlich geht es los: Es wird gesungen, eine Band mit Schlagzeuger, Bassist und zwei Keyboarders, sowie ein Chor aus zehn Frauen und Männer heizen der Gesellschaft ein. Die Lautstärke, wie schon so oft hier erlebt, setzt meinen Ohren zu. Mir kommt es vor, als ob ich an einem Day-Rave teilnehme und glücklich wippe ich im Takt der Musik mit.

Schlechte Gebäudestrukturen lassen Gebäude einstürzen

Eigentlich ganz nett, denke ich mir nach 45 Minuten Tanz und Musik. Vielleicht werde ich hier doch noch überzeugt, dass das Christentum gar nicht so eine schlechte Idee ist. Nach dem Musikauftakt tritt der Pastor auf die Bühne. Der gemütlich und gutmütig wirkende Mann plaudert über die vergangene Woche. Es sei eine sehr erfolgreiche Woche mit viel «worshiping» gewesen. Ein Gebet folgt, bei dem er in keinem Wort erwähnt, was in der Innenstadt vor sich geht.

Screenshot vom Instagram-Post des Citizen. Screenshot: Judith Frei

Weniger als 24 Stunden zuvor ist ein Gebäude im Marktviertel der Stadt eingestürzt. Das ist nicht zum ersten Mal passiert. Viele Gebäude in diesem Quartier sind unsicher. Experten plädieren schon lange dafür, dass rund 150 Gebäude abgerissen werden sollen. Zum Zeitpunkt des Gottesdienstes wurden 13 Personen aus dem Gebäude gerettet, 3 konnten nur tot geborgen werden. Die Bergungsarbeiten sind noch heute (Stand 20. November) im Gang. 86 Menschen sind verletzt und 16 sind durch das Unglück verstorben.

Dieses irdische Unglück schien den Pastor aber nicht wichtig. Für langweilige Minuten preist er einen jungen Pastor, der aus dem Westen Tansanias nach Dar es Salaam kam und jetzt die Messe halten wird.

Tränenreiche Bitte um Vergebung

Der junge Mann ist mir schon aufgefallen. Er schien nichts für die Musik übrig zu haben und sass unbeweglich in seinem Stuhl in der vordersten Reihe. Die Hornbrille gab ihm ein intellektuelles Aussehen. Mit dem dunkelblauen Anzug und der roten Krawatte hätte man ihn auch für einen republikanischen Abgeordneten aus den USA halten können.

Mit ruhiger Stimme beginnt er seine Predigt. Thema: Wie verehrt – «worshiped» – man Gott richtig. Es reiche nicht, nur am Sonntag in die Kirche zu gehen. Auch mittwochs und freitags müsse man Gott im Gotteshaus preisen. Es sei zudem wichtig, dass man ihn auf die richtige Art und Weise ehrt: Sich vor Gott auf einem Teppich zu verneigen, das ginge nicht. Ein klarer Seitenhieb auf den Islam. Er wisse, dass viele hier im Raum Gott nicht richtig huldigen und es mache ihn traurig. Diese Aussage lässt mich zusammenzucken, denn nicht wenige Male schaut er mich an – oder bilde ich mir das nur ein?

Während der Predigt redet er sich immer mehr in Rage, bis er zum Schluss schweissüberströmt, ein Taschentuch auf sein Gesicht gedrückt und laut schluchzend auf der Bühne steht. Mit ihm weint ein grosser Teil der Anwesenden. Und es wird lauthals um Vergebung gefleht. Über eine Stunde geht die Predigt. Mich hätte es nicht verwundert, wenn jemand noch «in Zunge» gesprochen hätte.

Bumerang Missionierung?

Nach der aufwühlenden Zeremonie wird Geld gesammelt und über kircheninterne Events informiert. Dieser Part übernimmt ein trocken wirkender Kirchenverwalter. Die tränenreiche Messe steckt mir noch in den Knochen, was diesen administrativen Teil umso surrealer erscheinen lässt.

Nach 2,5 Stunden ist die Messe vorbei, doch meine religiöse Erziehung noch nicht abgeschlossen. Ein junger Mann kommt auf mich zu und bittet mich, mit ihm über Gott zu reden. Er habe soeben die Ausbildung zum Pastor in Dodoma, (das ist die Hauptstadt von Tansania und befindet sich im Landesinneren) abgeschlossen und wisse, dass viele Europäer nicht mehr an Gott glauben, obwohl er dort zuerst «empfangen» wurde.

Strassenszene in Dar es Salaam. Bild: Judith Frei

Er macht keinen Hehl daraus, dass er mich als neues Gemeindemitglied gewinnen möchte. Es reiche nicht aus, Gutes zu tun und ein gutes Leben zu führen, erklärt er. Alle Menschen seien als Sünder geboren, wir müssen ein Leben lang nach Vergebung bitten. Nach einer guten halben Stunde bedanke ich mich für den «Food for Thought» und trete in die heisse Mittagssonne.

Das Gefühl des schlechten Gewissens und etwas falsch gemacht zu haben, lässt mich nicht los. Einen Kaffee später sind meine Gedanken wieder klarer: Ohne Erbsünde lebt es sich entspannter.

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